15. Juni
Der Tag, an dem aus der Kaiserin Victoria die Kaiserin Friedrich wird. Mit wie vielen Hoffnungen verlässt sie 1858 nach der Hochzeit mit dem Prinzen Friedrich Wilhelm ihr geliebtes England, um ihre neue Heimat Preußen und damit auch Deutschland in die Moderne zu führen. Es ist eine Liebesheirat – selten in hocharistokratischeren Kreisen. Ihr deutscher Vater, Albert von Sachsen-Coburg-Gotha, ist hocherfreut, denn er drängt seine Tochter zu dieser politischen Mission. 30 lange Jahre müssen Vicky und ihr Mann warten, die meiste Zeit davon durch Bismarck vom politischen Einfluss ferngehalten. Als beide dann endlich durch Erbfolge das Herrscheramt innehaben – ist Friedrich III. todkrank, er kann nicht mehr sprechen, Kehlkopfkrebs – 99 Tage später stirbt er.
Die Geschichte Deutschlands und Europas hätte ganz anders verlaufen können. Im September 1862 bestellt König Wilhelm von Preußen seinen Sohn Friedrich zu sich. Der Vater will die Verlängerung des Wehrdienstes von zwei auf drei Jahre, das Parlament verweigert das Geld dazu. Der König, bereits 65 Jahre alt, will abdanken, so wichtig ist ihm diese Reform. Die Urkunde ist ausgefertigt, nur der Sohn muss noch zustimmen. Friedrich will aber nicht mit dafür verantwortlich sein, dass ein preußischer König vom Parlament zur Abdankung gezwungen wird. Da erscheint Bismarck, bietet dem König an, am Landtag vorbei die Heeresreform durchzuführen. Wilhelm ernennt ihn zum Ministerpräsidenten. Friedrich und Victoria, soeben noch nur einen Schritt vom Thron und damit politischer Gestaltungsmacht entfernt, werden nun konsequent von der Macht ferngehalten. Victoria gilt als liberal. Kontrolle der Regierung durch das Parlament, Verantwortung der Exekutive gegenüber der Legislative sind Bismarcks Sache nicht. Inwieweit Friedrich III. diese liberalen Überzeugungen wirklich verinnerlicht hat, bleibt unbekannt. In seiner ersten Thronrede spricht er mehr von der Stärke des preußischen Heeres als von demokratischen Reformen. Für Taten bleibt ihm keine Zeit mehr.
Nachfolger wird sein Sohn Wilhelm II., 29 Jahre jung und voller Minderwertigkeitskomplexe, die er durch schneidiges Reden und Auftreten zu kompensieren versucht. Das Ausland ist beunruhigt. Während Bismarck nicht müde wird zu betonen, dass das Deutsche Reich saturiert sei, spricht Wilhelm vom „Platz an der Sonne“, der dem Reiche zustehe. Der Kaiser ist nicht nur repräsentatives Oberhaupt des Reiches, sondern auch direkt mitverantwortlich für dessen Politik.
Die Kaiserin Friedrich ist eine begabte Frau; intellektuell, belesen, Kunstsammlerin, talentierte Malerin. Sie fördert die Erziehung, gründet in Kronberg eine Volksschule. Die Diplomatie ist nicht ihre Stärke. Zu deutlich gibt sie den führenden Kreisen in Berlin zu verstehen, das England das bessere, weil fortschrittlichere politische System hat; dadurch beraubt sie sich jedweden Einflusses. Ihren Sohn überfordert sie durch eine zu strenge Erziehung; das Verhältnis ist zeitweise zerrüttet. Sie verlässt Berlin und zieht nach Kronberg, wo sie ihren Lebensabend verbringt. Sie muss mit ansehen, wie das Reich unter ihrem Sohn immer mehr in Konkurrenz zu Großbritannien tritt, statt - wie von ihr gewünscht – ein Bündnis mit ihrem Heimatland sucht.
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