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label Das Kriegstagebuch von 1870/71  - (Kaiser Friedrich III.)

Die Wahl des Spiegelsaals in Versailles als Ort der Kaiserproklamation

10.04.2021 fingerprint KHJ

Im Gegensatz zu seinem Vater Wilhelm unterstützt der preußische Kronprinz mit aller Kraft die Gründung eines deutschen Nationalstaats mit einem macht- und prachtvollen Kaisertum an seiner Spitze. Wilhelm hingegen trauert, dass sein geliebtes Preußen vom Deutschen Reich in den Schatten gestellt werden wird.

Am 19. Juli 1870 erklärt Frankreich dem Norddeutschen Bund unter Führung Preußens den Krieg. Aber die Franzosen verlieren jede Schlacht. Bei Sedan werden am 2. September Kaiser Napoleon III. mit seiner kompletten Armee (ca. 80.000 – 100.000 Mann) gefangen genommen. Wenige Tage später bereits nimmt König Wilhelm mit dem Großen Generalstab Quartier in der Stadt Versailles.


21.September

Unsere Mußestunden widme ich den Verwundeten, die in der „Salle des Glaces“ (Spiegelsaal) wie auch im Parterregeschoß des Schlosses unter den mit Brettern verdeckten historischen Gemälden Aufnahme gefunden haben und, gute Luft genießend, leicht ins Freie geschoben werden können, um sich der herrlichen Wärme zu erfreuen. Die Gemächer Ludwigs XIV. erinnern mich lebhaft and die König Friederichs. I. im Berliner Schloß. Ich gestehe, dass ich beim Betrachten dieser Prunkgemächer, in welchen soviel Unheil für Deutschland beschlossen ward (die Kriege Ludwigs XIV., die ab 1688 vor allem die Pfalz verwüsten), und in denen die Verhöhnung seines inneren Zerfalls bildlich zum Ausdruck gelangt, die feste Hoffnung hegte, daß gerade hier die Wiederherstellung von Kaiser und Reich gefeiert werden möchte. (S. 133)


Die Wahl des Spiegelsaals für die Kaiserproklamation ist ein verhängnisvoller Fehler, da es Frankreich unnötig demütigt. Man sieht sich immer zweimal. Das zweite Mal wird der 29. Juni 1919 sein; der Tag, an dem das Deutsche Reich im selben Spiegelsaal den Versailler Vertrag, der den 1. Weltkrieg beendete, unterzeichnen muss. Der Kronprinz sinnt hier auf Rache für das, was in der Vergangenheit geschah, vergisst dabei aber, was die Wahl des Spiegelsaales in der Zukunft anrichten wird. Der Kronprinz ist wohl auch geblendet von der Pracht des Saals, die auf das neue deutsche Kaisertum abfärben soll.

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Die endgültige Entscheidung natürlich trifft Bismarck. Hier bleibt rätselhaft, wieso dieser ansonsten durchaus weitsichtige Politiker die möglichen Konsequenzen nicht vorhersieht. Frankreich würde nicht immer so schwach bleiben, wie in diesem Augenblick, und das Deutsche Reich nicht immer so dominant.


9. Dezember 1870

„Wie der König (Wilhelm I. von Preußen) eigentlich darüber (Kaiserkrönung) denkt, weiß ich nicht……Nichtsdestoweniger habe ich bereits, freilich unterm Siegel der Verschwiegenheit, dem Kommandanten, Generalmajor von Voigts-Rhetz, befohlen, für Freihaltung der salle des glaces im Schloß zu sorgen und die Verwundeten in Nebenräumen unterzubringen, damit, falls es zu irgendeiner Feierlichkeit käme, gerade jener Prunksaal Ludwigs XIV. verfügbar sei. Dies geht umso leichter, als gegenwärtig behufs gründlicher Ventilierung (Belüftung) der seit Monaten belegt gewesen Räume eine anderweitige Raumverteilung im Schlosse vorgenommen worden ist.“ (S. 266)


29. Dezember 1870

Am 1. Januar soll die Reichsverfassung ins Leben treten, welche „Kaiser und Reich“ einführt. Aber niemand ahnt, ob dieses große Ereignis gewissermaßen stillschweigend nach Deutschland hineingeschmuggelt oder durch eine feierliche Proklamation verkündet werden wird, oder ob man vielleicht gar überhaupt noch mit Einführung derselben warten will. Ich werde mich also wieder einmal im Bundeskanzleramt durch eine sehr bestimmte Fragestellung nach dem Stand der Dinge erkundigen müssen. Auf alle Fälle habe ich im Verein mit meinem Schwager eine Proklamation für Se. Majestät entworfen, die unter möglichster Schonung der Eigentümlichkeiten des Königs doch patriotischen Schwung besitzt; es ist freilich mehr als zweifelhaft, ob sie an allmächtiger Stelle (gemeint ist hier Bismarck) Beifall finden wird.“ (S. 296)


Man sieht, wie wichtig der Glanz des neuen Reiches mit dem Amt des Kaisers, das er (bald?) erben wird, für den Kronprinzen ist. Ganz Deutschland soll davon ergriffen sein.


Gleichzeitig wird aber auch deutlich, wie sehr der Kronprinz unter der Dominanz Bismarcks leidet. Daran ist unsere Victoria nicht ganz unschuldig. Friedrich ist willensschwach. So hätte er am 18. September 1862 auf des Vaters Wunsch den Thron Preußens besteigen können. König Wilhelm will abdanken, da der Landtag ihm die finanziellen Mittel für die Verlängerung der Wehrdienstzeit auf 3 Jahre verweigert. Friedrich aber will nicht dafür verantwortlich sein, dass eine Ständeversammlung einen preußischen König zur Niederlegung seiner Krone zwingt. In seiner Not ernennt der König Bismarck zum Ministerpräsidenten, da dieser ihm zusichert, am Landtag vorbei zu regieren.


Victoria hingegen ist willensstark. Sie lässt keine Zweifel daran, dass sie ihrer Heimat England und dessen parlamentarischem Regierungssystem den Vorzug gibt gegenüber Preußen mit einem Monarchen und einem Regierungschef, die nichts weniger im Sinne haben, als einem Parlament Mitspracherechte zu geben. Man fürchtet, dass Victorias liberale Ideen ihren Mann beeinflussen. So fällt es Bismarck leicht, den König davon zu überzeugen, dass der Kronprinz nicht mehr an den Sitzungen des Kronrates teilnehmen sollte. Der ewige Vater-Sohn-Konflikt, nicht nur im Hause Hohenzollern, sondern in so vielen Herrscherfamilien im Laufe der Jahrhunderte.


Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich Friedrich selbstmitleidig geradezu wohlfühlt in der Rolle des von der Macht Ferngehaltenen. Victoria muss verzweifelt gewesen sein, denn weder die Situation noch den Charakter ihres geliebten Mannes kann sie ändern.


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Geschichts-AG des Kaiserin-Friedrich-Gymnasiums | 2020 -
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